Körper und Seele

Liebe am Arbeitsplatz - in einem Schlachthof? Romanzen scheinen hier ganz unmöglich. Und doch erzählt die ungarische Regisseurin Ildikó Enyedi eine bezaubernde Liebesgeschichte. Und gewann damit den Goldenen Bären der diesjährigen Berlinale.

Was für eine Liebesgeschichte – verhalten und doch romantisch, langsam und doch packend, märchenhaft und doch realistisch. Und das an einem Ort, wo Liebe gar nicht möglich scheint: in einem Schlachthof, diesem archaischen, blutgetränkten Ort, in dem es so pragmatisch zugeht und gewissenhaft die Vorschriften beachtet werden. Die ungarische Regisseurin Ildikó Enyedi („Mein 20. Jahrhundert“) zeigt darum zunächst, was das bedeutet: Rinder werden in einem Eisengitter festgezurrt, getötet, ausgeblutet, gehäutet, zerschnitten. Authentische, manchmal schwer zu ertragende Bilder, die im Gegensatz zum idyllischen Beginn des Films stehen. Da schweift ein Hirsch mit großem Geweih durch einen schneebedeckten Wald, säuft an einem Fluss und erblickt eine Hirschkuh, der er sich kaum zu nähern traut.

Die eigentliche Handlung kommt in Gang, als Maria (Alexandra Borbély), die neue Qualitätskontrolleurin, ihre Arbeit im Schlachthof antritt. Eine eigentümliche Frau, das sieht Endre (Géza Morcsányi), Leiter des Schlachthofes, sofort: Steif, fast roboterhaft, mit unbewegtem Blick sucht sie einen unbesetzten Tisch in der Kantine, spricht mit niemandem, meidet jeden Kontakt mit den Kollegen, bleibt unzugänglich und kühl. Und doch ist sie von einer elfenhaften Schönheit, die Endre nicht verborgen bleibt. Dann kommt durch einen Zufall – nach einem Diebstahl befragt eine Psychologin mehrere Mitarbeiter – heraus, dass Endre und Maria in der Nacht zuvor dasselbe geträumt haben, einen Traum, den der Zuschauer bereits kennt: Ein Hirsch trifft in einem verschneiten Wald eine Hirschkuh. Endre versucht den Vorfall herunterzuspielen, doch weil sich die Träume auch in den folgenden Nächten gleichen, kann man sie nicht einfach ignorieren. Langsam, sehr langsam kommen sich Endre und Maria, zwei Menschen mit großen Wunden auf der Seele, näher. Ildikó Enyedi nimmt sich sehr viel Zeit, ihre schwierigen Charaktere zu beschreiben und ihnen, mit unterschiedlichem Tempo, eine Entwicklung zuzugestehen. Während Endre mit den Frauen längst abgeschlossen hat und aus Angst vor Zurückweisung ein einsames Leben führt, muss Maria den Kontakt mit anderen Menschen erst noch lernen. Zu den schönen Ideen des Films zählt, dass sie – obwohl eine erwachsene Frau – noch immer zu einem Kinderpsychologen geht und zuhause mit Playmobilfiguren und Salzstreuern mögliche Gespräche einübt. „Körper und Seele“ lief gleich am zweiten Tag im Wettbewerb der diesjährigen Berlinale. Und ging der Jury nicht mehr aus dem Kopf. Er gewann den Goldenen Bären.

Ungarn 2017
Regie: Ildikó Enyedi
Darsteller: Alexandra Borbély, Géza Morcsányi, Réka Tenki
116 Minuten
ab 12 Jahren

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