Glücklich wie Lazzaro



Jahrelang gelang es einer italienischen Adligen noch Anfang der 1980er Jahre ihre Landarbeiter in einer Art Leibeigenschaft zu halten. Poetisch-sozialkritische Fabel, die das neorealistische italienische Kino auferstehen lässt

Irgendwo im kargen, gebirgigen Süden Italiens lebt Lazzaro (Adriano Tardiolo). Der gutmütige, junge Knecht mit dem kindlich-staunenden Blick arbeitet unermüdlich auf dem Landgut L’Inviolata. Ob nachts die Hühner vor dem Wolf geschützt werden müssen, die verkrüppelte Nonna ins Haus getragen werden muss oder Tabakkisten geschleppt, immer muss Lazzaro ran. Doch den jungen Mann scheint das wenig zu erschüttern. Zusammen mit einer Sippe von Landarbeitern lebt er in Armut. Denn alle zusammen schuften sie wie Leibeigene für die Zigarettenkönigin, die Marquesa Alfonsina de Luna (Nicoletta Braschi). Aber ausgerechnet De Lunas Sohn, der etwas überhebliche Tancredi (Luca Chikovani), bringt das feudale Gefüge seiner Mutter ins Wanken. Er nähert sich Lazzaro und überredet ihn seine Entführung vorzutäuschen...

Meisterhaft lässt Regisseurin Alice Rohrwacher in ihrem poetisch-märchenhaften und zugleich krass realistischen Film das neorealistische italienische Kino auferstehen. Angefangen vom frühen, legendären Roadmovie „La Strada“ bis hin zu Bernardo Bertoluccis klassenkämpferischem Epos „1900“ finden sich Anklänge in ihren faszinierenden, oftmals lyrischen Bildern. Wie einst Gelsomina als tragisch tapfere Gestalt ihrem Zampano folgte, so folgt Rohrwachers Held Lazzaro voller Urvertrauen Tancredi, dem Sohn der Marquese. Dabei scheint auch er, trotz allem Unrecht, nie die Hoffnung aufzugeben, dass die Menschlichkeit sich doch noch in Tancredi regen wird. Klug zeigt die 36jährige Italienerin in ihrer zurückhaltenden Inszenierung ganz unspektakulär die Auswirkungen des global-entfesselten Kapitalismus der Moderne. Die scheinbar befreiten Landarbeiter geraten vom Regen in die Traufe. Und wie in De Sicas berührenden neorealistischen Klassiker „Fahrraddiebe“ können sie sich nur in Kleinkriminalität retten. Wie bereits in ihrem vorherigen Film „Land der Wunder“ erweist sich die preisgekrönte Regisseurin erneut als absolut herausragende Stimme des italienischen Gegenwartskino.

Italien, Frankreich, Deutschland, Frankreich, Schweiz 2018
Regie & Drehbuch: Alice Rohrwacher
Darsteller: Adriano Tadiolo, Luca Chikovani, Tommaso Ragno, Nicoletta Braschi, Agnese Graziani, David Bennent, Alba Rohrwacher, Sergi Lopez
125 Minuten

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