Sunset



Eine junge Hutmacherin kommt 1913 nach Budapest und wird in seltsame Ereignisse verstrickt. Die spektakuläre, atmosphärisch intensive Visualisierung dürfte vor allem Filmkunstfans mit cineastischer Vorbildung ansprechen.

Iris Leiters Reise nach Budapest ist eigentlich eine Rückkehr zu ihren Wurzeln, denn dort betrieben ihre Eltern den weithin bekannten Hutmodesalon Leiter. Sie kamen bei einem Feuer ums Leben. Iris‘ unerwartetes Auftauchen löst im Nachfolgebetrieb Irritationen aus, auch weil sie einen älteren Bruder hat, der in politisch motivierte Verbrechen verwickelt sein könnte und versucht haben soll, den neuen Inhaber des Hutsalons, Herrn Brill, zu töten. Iris stellt bald fest, dass im Salon Leiter bei weitem nicht alles so hübsch und adrett ist, wie es nach außen für die wohlhabende Kundschaft demonstriert wird. Aus den zahlreichen Mädchen, die hier offenbar auch nach optischen Kriterien für die Arbeit ausgewählt werden, sticht Iris schon aufgrund ihrer Ernsthaftigkeit heraus. Sie geht auf die Suche nach ihrem Bruder und begibt sich dabei in Gefahr, weil sie unversehens zwischen die Fronten des dekadenten K.u.K.-Regimes, eines Elendsproletariats und ungarischer Freiheitskämpfer gerät...

Wie Iris nach Budapest kommt und die Stadt für sich entdeckt, hat sehr viel von einem Traum oder von einem Märchen, das nicht unbedingt auf ein gutes Ende hinarbeitet. Die visuelle Gestaltung ist exzeptionell. László Nemes und sein Kameramann Mátyás Erdély arbeiten mit vielen „Tracking Shots“ und mit langen Verfolgungen frontal ins Bild hinein. Bei diesen Kamerafahrten ist Iris oft von hinten zu sehen, wobei die Blickachse und die Handlungsachse identisch sind. Die Kamera heftet sich buchstäblich an Iris‘ Fersen. Die Wirkung ist exorbitant: Die Zuschauer werden förmlich ins Bild hineingesogen. Dabei bleibt die direkte Umgebung oft in der Unschärfe, der Fokus ist also relativ klein und beschränkt sich auf Iris, die auf diese Weise sehr verloren wirkt: eine einsame junge Frau inmitten der Menschenmenge. Dazu kommt eine Geräuschkulisse von verwirrender und beunruhigender Intensität. Interessant ist der Film vor allem für cineastisch interessierte Kinofans.

Ungarn 2018
Regie: László Nemes
Drehbuch: László Nemes, Clara Royer, Matthieu Taponier
Darsteller: Juli Jakab, Vlad Ivanov, Evelin Dobos, Susanne Wuest, Marcin Czarnik, Judit Bárdos, Benjamin Dino
142 Minuten
ab 12 Jahren

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