Je suis Karl

Eine Radikalisierungsgeschichte, die bekannte Muster unterläuft, erzählt Christian Schwochow in seinem neuen Film. Keine Islamisten, sondern Deutsche sind in seinem Drama die Täter. Ein spannendes, ambitioniertes Konstrukt, wuchtig gefilmt und gespielt.

Eine alltägliche Situation: Der Paketbote liefert ein Paket, aus purer Freundlichkeit nimmt Alex (Milan Peschel) es an. Er stellt es in der Wohnung ab, wo seine Frau gerade das Essen bereitet, die kleinen Zwillinge spielen. Er selbst geht noch mal runter, hat etwas im Auto vergessen. Kaum ist er auf der Straße, zerreißt eine Bombe das Haus. Dass seine Tochter Maxi (Luna Wedler) nicht in der Wohnung war, ist der einzige Lichtblick für Alex, der sich bald ganz der Trauer hingibt. Maxi dagegen ist wütend, rasend wütend. Scheinbar zufällig begegnet ihr auf der Straße der charmante Karl (Jannis Niewöhner), der sie vor hartnäckigen Paparazzi beschützt und nach Prag einlädt. Dort trifft sich eine europaweite Jugendorganisation, die gegen das Diktat und vor allem die Trägheit der Alten kämpfen will. Mit friedlichen Mitteln soll diese „Re/generation-Europe“ genannte Revolution wohlgemerkt ablaufen, was sich allerdings schnell als Anlass für Reden, Feiern und Trinken herausstellt. Viel zu wenig für Maxi, die sich leicht in Karls Bann ziehen lässt, nicht ahnend, dass es Karl war, der als Paketbote die Bombe geliefert hat, die Maxis Familie zerstört hat. Und Karls Pläne, mit Terror gegen das System zu kämpfen, haben gerade erst begonnen.

Schon der Titel von „Je Suis Karl“, den Christian Schwochow nach einem Buch von Thomas Wendrich inszenierte, deutet den Bezug zu einem der meistzitierten Schlachtrufe der linken Szene jüngerer Vergangenheit an: Je Suis Charlie. Für einen kurzen Moment konnten sich alle, die sich mehr oder weniger als Linksliberal definieren, hinter einem Slogan vereinen. Wie leicht solche Bewegungen missbraucht werden können, ist der interessanteste Aspekt von „Je Suis Karl.“ Der Film deutet in seinen stärksten Momenten an, wie leicht eine im Prinzip positiv besetzte Bewegung, die für die „richtige“ Sache kämpft, in radikale, gewalttätige Gefilde abdriften kann. Allein der Mut, sich auf diese Weise mit einem allgegenwärtigen Thema zu beschäftigen, macht Christian Schwochows Film in der deutschen Kinolandschaft bemerkenswert.

Deutschland, Tschechien 2021
Regie: Christian Schwochow
Darsteller: Jannis Niewöhner, Luna Wedler, Milan Peschel
126 Minuten
ab 12 Jahren

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