Die Verfilmung des Romans von Fatma Aydemir ist ein roher, ein wuchtiger Film. Einer, der davon erzählt, wie sich eine Frau in zwei Welten fremd fühlt und nirgendwo richtig dazugehört. Ein Film, der aufwühlt und mitreißt.
Hazal träumt davon, Altenpflegerin zu werden. Sie bewirbt sich, wird aber abgelehnt. Zu wenig Allgemeinbildung heißt es. Aber ein unbezahltes Praktikum, das könnte sie schon machen. An ihrem 18. Geburtstag geht Hazal mit ihren Freundinnen feiern, im Club lässt man sie aber nicht rein. Nur Stammgäste, heißt es. In der U-Bahn werden ihre Freundinnen und sie dann von einem jungen Mann belästigt. Hazals Freundin scheuert ihm eine, dann eskaliert die Situation. So sehr, dass Hazal sich tags darauf nach Istanbul absetzt. Aber auch dort merkt sie, dass das Land ihrer Eltern ihr keine Heimat sein kann.
Asli Özarslan hat einen rohen, eindringlichen Film inszeniert, der von systemischer Diskriminierung erzählt. Er zeichnet das Bild eines Landes, einer Stadt, eines Viertels, in dem nur jemand was werden kann, der „richtig“ aufgewachsen ist. Für Hazal ist das Leben eine Abfolge von Demütigungen. Von einem Ladendetektiv wird sie belästigt und abgezockt, im Club nicht reingelassen, in der U-Bahn-Station belästigt. Sie ist immer das Opfer. Etwas, das sie nicht sein will und zu dem sie sich macht, als sie zurückschlägt. Als sie auf den Mann eintritt, sieht man ihr an, wie sich aufgestaute Wut entlädt. Es ist ein starker Moment, weil er so ambivalent gezeichnet ist. Der Mann hat sich falsch benommen, er wird dann auch gewalttätig, aber zugleich wird er dann das Opfer. Wie überhaupt alle Figuren in dieser Geschichte auf die eine oder andere Art Opfer sind. Das ändert sich auch in Istanbul nicht. Sie findet sich in einem Land und einer Kultur wieder, die sie nur unzusammenhängend versteht, und hat doch keine Wahl, als hier ihr Glück zu finden. Denn ein Zurück gibt es nicht, nur ein Vorwärts, auch wenn dafür alles zurückgelassen werden muss, was ihr jemals etwas bedeutet hat. Das Schlussbild ist nur konsequent. Eines, das den Aufbruch zeigt, aber über dem auch der Hauch der Verzweiflung liegt. Am Ende ist der Zuschauer mit seinen Gedanken allein und fragt sich, wie es Hazal ergehen wird. Eine Frage, die nie beantwortet werden wird.
Quelle: programmkino.de / Peter Osteried
Deutschland 2024
Regie: Asli Özarslan
Darsteller: Melia Kara, Jamilah Bagdach, Asya Utku
Laufzeit: 86 Minuten
FSK: 12